Die Bibel ist eine Sammlung von Schriften, die als inspiriertes Wort Gottes betrachtet werden. Doch wie wurde entschieden, welche Bücher Teil der Bibel sein sollten? Der Prozess der Kanonbildung – also der Festlegung des biblischen Kanons – war sorgfältig, geistlich geleitet und basierte auf strengen Kriterien.
Definition des Kanons
Der Begriff „Kanon“ leitet sich vom griechischen Wort kanon ab, das „Richtschnur“ oder „Maßstab“ bedeutet. Er beschreibt die Sammlung von Schriften, die als autoritativ und inspiriert gelten.
• Altes Testament: Der jüdische Kanon umfasst die Schriften, die Christen als das Alte Testament bezeichnen.
• Neues Testament: Der christliche Kanon ergänzt dies durch 27 Bücher, die von Jesus und seinen Jüngern berichten sowie theologische Lehren enthalten.
Der Kanon des Alten Testaments
Die Schriften des jüdischen Volkes
• Die Bücher des Alten Testaments wurden zwischen etwa 1400 und 400 v. Chr. geschrieben.
• Sie wurden von der jüdischen Gemeinschaft als heilig anerkannt, darunter die fünf Bücher Mose (Tora), die Propheten und die Schriften (z. B. Psalmen).
Die Rolle von Jesus und den Aposteln
• Jesus bestätigte den jüdischen Kanon, indem er in Lukas 24:44 von „dem Gesetz Mose, den Propheten und den Psalmen“ sprach.
• Das Alte Testament, wie es heute bekannt ist, wurde von der jüdischen Gemeinschaft zur Zeit Jesu als abgeschlossen betrachtet.
Die Septuaginta
• Die griechische Übersetzung des Alten Testaments, bekannt als Septuaginta, wurde im 3. Jahrhundert v. Chr. erstellt und enthielt zusätzliche Schriften (die Apokryphen).
• Diese Schriften wurden jedoch nicht von allen Juden als inspiriert betrachtet und fanden keinen Platz im hebräischen Kanon.
Der Kanon des Neuen Testaments
Die Entstehung der Schriften
• Die Schriften des Neuen Testaments wurden zwischen etwa 50 und 100 n. Chr. verfasst.
• Sie entstanden in Form von Briefen, Evangelien und prophetischen Schriften (z. B. Offenbarung), die in den frühen christlichen Gemeinden verbreitet wurden.
Kriterien für die Kanonisierung
Die frühen Christen verwendeten strenge Kriterien, um zu entscheiden, welche Schriften inspiriert waren:
1. Apostolische Autorität: Ein Buch musste von einem Apostel oder einer mit Aposteln eng verbundenen Person verfasst sein (z. B. Markus oder Lukas).
2. Übereinstimmung mit der Lehre: Die Inhalte mussten mit der Lehre Jesu und der Apostel übereinstimmen.
3. Akzeptanz in den Gemeinden: Ein Buch musste in der gesamten Kirche weithin anerkannt und verwendet werden.
4. Geistliche Kraft: Es musste den Anspruch haben, von Gott inspiriert zu sein und eine transformative Wirkung zeigen.
Die frühe Kirche und der Kanon
• Die Briefe von Paulus und die Evangelien waren bereits im 1. Jahrhundert weithin anerkannt.
• Die ersten Kirchenväter, wie Ignatius von Antiochien (ca. 35–108 n. Chr.), zitierten aus den Schriften, die wir heute im Neuen Testament finden.
• Die Muratorische Kanonliste (ca. 170 n. Chr.) enthält bereits viele der heute akzeptierten Bücher des Neuen Testaments.
Die endgültige Festlegung
• Auf verschiedenen Synoden, insbesondere in Hippo (393 n. Chr.) und Karthago (397 n. Chr.), wurde der neutestamentliche Kanon bestätigt.
• Der Kanon wurde jedoch nicht „festgelegt“, sondern lediglich anerkannt, da die Bücher bereits seit Jahrhunderten von der Kirche als inspiriert betrachtet wurden.
Die Apokryphen und andere Schriften
Die Apokryphen des Alten Testaments
• Diese Schriften, wie das Buch Tobit und die Weisheit Salomos, wurden in der Septuaginta aufgenommen, aber nicht im hebräischen Kanon.
• Die römisch-katholische Kirche akzeptierte diese Bücher beim Konzil von Trient (1546) als kanonisch, während Protestanten sie als nützlich, aber nicht inspiriert betrachten.
Abgelehnte Schriften des Neuen Testaments
• Es gab zahlreiche Schriften, die im frühen Christentum kursierten, darunter das Evangelium des Thomas oder das Hirtenbuch des Hermas.
• Diese wurden aufgrund von fehlender apostolischer Autorität, mangelnder Übereinstimmung mit der Lehre oder begrenzter Akzeptanz in der Kirche abgelehnt.
Die Rolle des Heiligen Geistes
Die Kanonbildung war nicht nur ein menschlicher Prozess. Christen glauben, dass der Heilige Geist die frühe Kirche leitete, die richtigen Schriften als inspiriert zu erkennen.
• Johannes 16:13: „Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten.“
Die Kirche „bestimmte“ den Kanon nicht willkürlich, sondern erkannte an, welche Schriften von Gott inspiriert waren.
Fazit
Die Kanonbildung war ein geistlicher und historischer Prozess, der sicherstellte, dass die Bibel die wahrhaft inspirierten Schriften Gottes enthält. Die sorgfältige Prüfung, die Einheit der Schriften und die Bestätigung durch den Heiligen Geist zeigen, dass die Bibel zuverlässig und glaubwürdig ist.
Ihre Zusammenstellung unterstreicht die einzigartige Stellung der Bibel als Gottes Wort, das über die Jahrhunderte hinweg die Kirche geleitet und inspiriert hat.